Opa: Das Schlimmste ist die Einsamkeit

Als wir hörten, dass es auf einmal viel schlechter geht mit Opa, sind wir am nächsten Tag nach Cottbus gefahren um ihn zu besuchen. Dankbar, dass unser Leben solche impulsiven Programmänderungen erlaubt. Dankbar, dass das Auto mit Airco ausgestattet ist. In Vorfreude auf die Familie verbrachten wir einen Tag mit Reisen.

 
Angekommen sind wir, wie immer, zuerst zu Oma Rosie (83) gegangen. Kati’s Liebste. Im Juni war bei ihr Krisis. Nach acht Jahren war der ‘chronische’ Durchfall so schlimm geworden, dass sie sich seit Monaten nicht mehr aus der Wohnung traute und kaum noch schlafen konnte. Erschöpft war sie dabei, den Lebensmut zu verlieren.
 
“An dem Durchfall ist nichts mehr zu tun.” So haben die Ärzte es ihr immer wieder versichert. Oft untermauert mit der Erklärung, dass dies normal ist nach ihren OP’s. Und obwohl sie den Ärzten glaubte, hat sie auch vergeblich alle Hausmittel versucht.
 
Wir waren anderer Meinung. Brüchige Wirbel hatten Oma schon schmerzhaft auf 1,40 Meter schrumpfen lassen. Und obwohl sie Medizin für ihren Blutzuckerspiegel bekam, aß sie immer wieder Süßes. Da könnte man doch mal versuchen, Milchprodukte und Zucker weg zu lassen?
 
Mit der Verschlimmerung des Durchfalls war nach Jahren warten endlich der Moment da: Oma war bereit kategorisch zu verzichten. Im Juni ist Kati abgereist und hat zehn Tage täglich für Oma gekocht und Heiltees zubereitet. Zusammen haben sie Gerichte zusammengestellt womit Oma sich auch selber versorgen kann.
 
Was folgte war eine feierliche Entdeckungsreise. Ganz gewissenhaft hat Oma sich an die Anweisungen gehalten, mitgedacht und alles aufgeschrieben was sie gegessen und getrunken hat. Sogar die Toilettenbesuchen hat sie notiert. Schon nach einigen Tagen kamen die ersten ‘wunderbaren’ Köttelchen. Am siebten Tag zeigte sich das erste ‘Würstchen’. Seit vielen Jahren. Bald setzte ein regelmäßiger Stuhlgang ein. Auch Vertrauen und Lebensfreude kehrten zurück. Oma kann jetzt mit ihrem elektrischen ‘Rosimobil’ wieder selber Einkaufen. Auch Haut und Nägel sind viel vitaler geworden. Und wir arbeiten freudvoll weiter an den Details. Kati denkt sich Rezepte aus und schickt Päckchen mit unbekannten Nahrungsmitteln und Gewürze. Die Freude am Essen blüht weiter auf in Oma’s Leben. “Ich spüre zum ersten mal in meinem Leben ein Sättigungsgefühl beim Essen.”
 
Wo ist unsere Schulmedizin entgleist, dass sie diese ‘Gesundheitsberatung’ nicht mehr in ihrem Programm hat?
Vielleicht sogar dieses Wissen gar nicht besitzt?
 
Als Oma im März die Wohnung nicht mehr verlassen konnte, hat sie unsere Einladung angenommen sich auf ein iPad einzulassen. Jetzt formen Skype, Facebook, Email und Messenger feste Bestandteile ihres Alltags. Mit Google bereist Oma die Welt. Wenn wir Seminar haben ist sie meist schon vor uns da. Kinder und Enkelkinder sind täglich präsent durch Ihr erstaunliches Teilchen. Welch ein Geschenk.
 
Opa (mütterlicherseits) pendelte mit 89 bis vor kurzem noch mit seinem Auto zwischen seiner Stadtwohnung und dem dörflichen Haus seiner Freundin hin und her. Die beiden erweckten häufig den Eindruck, ein frisch verliebtes Päarchen zu sein. Opa hat noch selber eingekauft, und sogar ein jährlicher Urlaub gehörte zum Programm. Die Hilfe die er brauchte, konnte unauffällig und ohne zu große Belastung von der Familie versorgt werden.
 
Jetzt sitzt er fast den ganzen Tag in seinem Stuhl und schaltet innerlich ab. Aufstehen erweckt oft so ein starkes Schwindelgefühl, dass er Angst hat zu stürzen. Sein Gehör ist weiter eingegangen und mit seiner Geliebten weit entfernt, hat er alle Lust am Leben verloren. Was ihm bleibt ist das Warten. “Das Schlimmste ist die Einsamkeit.”
 
Als er sagt, dass er durch die ambulante Pflege immer in Hektik versorgt wird und nichtmal sein Nacken rasiert wird, fragen wir ob ich das mal machen darf: Nach dem Nacken kommt das Gesicht. Er lächelt als ich nachspüre ob sein Kinn auch wirklich glatt geworden ist und ich einige Stellen noch einmal mache. Wir essen mit ihm gemeinsam in Ruhe. Solche herrlichen Momente.
 
Wie finden wir Wege, um in Dankbarkeit und menschlicher Würdigkeit zu leben? Und was ist wirklich wichtig im Leben?
 
Opa’s geliebtes Auto ist übrigens gerade bei ‘Vati’ im Gebrauch – der hat letztes Wochenende seines in einem Moment von Eile verschrottet.

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