Freundschaft und Sterben Teil 2: Selber beerdigen

Am Abend nach dem Sterben unseres Jugendfreundes Patrick, redeten Jeroen und ich noch lange mit seinen Eltern. Sie waren überrascht, dass ihr Sohn solche Freundschaften hatte. Jeroen wurde gebeten, einen großen Teil der Beerdigung zu organisieren. Ich wurde gefragt, die Grabrede zu halten.

Jeroen hat mit den Eltern einen wunderschönen Tag vorbereitet. Ich habe gerade die Foto’s bekommen und möchte hier einige Foto’s mit meinen Erinnerungen und Gedanken teilen.

Geburt, Trauung und Sterben sind Gelegenheiten, wo sich das MenschSein besonders deutlich zeigt. Momente, wo wir die Früchte unserer spirituellen Praxis ganz pur zu essen bekommen.

Eine Naturbeerdigung.

Heide und Wald, keine Grabsteine oder Raster von Pfaden. Hier und da die Querscheibe von einem Baum mit Name, Geburts- und Sterbedatum. Weiter nur Natur und ein sehr schönes Trauerhaus. Riedgedeckt, Glaswände, Holz, Naturstein und komfortables Sitzen.

Kati, mein Sohn Aurelius und ich sind früh angereist. Wann immer möglich, kommen wir lange vor unseren Terminen an. Schauen uns den Ort an, kommen geistig an, gehen eine Runde spazieren.

Kati ‚liebt‘ holländische Beerdigungen. Sie sind so viel persönlicher und freier als die, die sie bis vor einigen Jahren kannte. Und ich kenne sie auch, diese Beerdigungen, wo Familie und Freunde in schwarz nur trauern und folgen dürfen. Wo ein Mensch die Trauerfeier leitet, der die Verstorbene oder seine Geliebten nicht kennt und der manchmal auch aus einer (religiösen) Welt redet, die von dem Verstorbenen oder seinen Geliebten nicht erlebt wird.

Als die Familie mit den Sarg angefahren kommt, sind wir schon da. Acht von Patricks Freunden werden den Sarg tragen. Zuerst vom Auto auf den Rollwagen, dann in den Familien-Raum, von dort in den Trauersaal, wieder auf den Wagen und dann mit dem Wagen zum Grab in den Wald.

Acht Männer. Wir hatten uns alle kennen gelernt als wir 17 waren und haben uns nie aus dem Auge verloren. Mit den Eltern, Patricks Patentante, seiner Tochter, ihrer Mutter und Kati und Aurelius haben wir gemeinsame Zeit im Familien-Bereich. Es ist Aurelius erste Beerdigung, seine erste Begegnung mit dem Tod. Eine wichtige Gelegenheit, ihm einen positiven und freien Umgang mit Sterben und Trauer vorzuleben.

Wir haben gefühlt alle Zeit in der Welt. „Wer hat Patrick über den Tod reden gehört?“, ist meine Frage in die Runde. Ich hatte noch nicht bedacht was ich am Grab sagen würde. Zunächst fällt niemandem etwas ein. Dann doch: „Es gibt nichts, der Körper geht zu den Würmern.“ Das konnte jeder bestätigen, Patrick war kein gläubiger oder religiöser Mensch. Ich habe also schon mal einen Anfang für meine Grabrede.

Wir tragen den Sarg auf unseren Schultern in den menschengefüllten Raum, stellen ihn auf zwei Holzklötze und legen alle unsere Hände auf die ungehobelte blanke Kieferkiste. Gefertigt aus Holz aus dem Wald, wo wir Patricks Körper an die Erde geben werden. Eine ganz natürliche Stille trägt uns durch einen Ozean an Zeit.

Patricks Vater tritt nach vorne und spricht. Hinter ihm sehen wir die Heide, den Wald, die Vögel, das Wetter. Neben mir sitzt Martijn, mit Jeroen und Matthijs mein Jugendfreund fürs Leben. Er ist aus Israel gekommen und ist zutiefst ergriffen. Jeroen tritt vor und spricht aus seinem Herzen. Sichtbar gerührt ehrlich, offen, würdig. Patricks Patentante hatte mich gefragt, während ihrer Rede neben ihr zu stehen, falls es ihr zu schwer sein würde zu reden. Martijn spricht. Ich sitze in Tränen. Sind wir schöne Menschen geworden/geblieben. Jeder auf seine eigene Weise seinem Herz treu. Als Martijn wieder neben mir Platz nimmt, fühlt es sich an, ob baden wir in einem Gefühlsraum. Keine Trennung zwischen meinem Freund und mir.

Jeroens Musikwahl trägt die langen Zeiten zwischen den Reden. Patrick war Musiker und liebte Musik, die nicht von jedem verstanden wird. Jeroen hatte Musik gefunden, die die Tiefe und die Ehrlichkeit von ‚Musiker-Musik‘ hat, ohne die ‚Unwissenden‘ zu entfremden.

Kein Fremder spricht an diesem Tag, die Bestatter nur ganz stimmig und leise direkt zu uns. Einen Sarg zu tragen, braucht einige Kenntnisse. Sowohl die Bestatter als auch die Friedhofsmanager sind Frauen. Kati merkt auf, dass dies gut ist so: Frauen empfangen und gebären, Frauen sollten zurück zur Erde geben.

Als wir dann den Sarg im Saal hoch heben und ich am Fußende den hölzernen Griff nehme, schiebt Aurelius sein Händchen unter den Sarg. Als wir auf Jeroens geflüsterte Anweisung heben, schiebt Aurelius den Sarg hoch, ob sei der Sarg ein Federchen auf seiner Hand. Sein Händchen schwebt vor meinem Bauch während wir Freunde den Sarg schultern. Mit einem in zahllosen Malen eingeübten Schwung schultere ich Aurelius.

Draußen legen wir den Sarg auf den eisernen Wagen. Die kleinsten zwei Freunde vorne: Martijn links, ich rechts. Aurelius – der größte über uns allen. Unser Blick in eine ferne Zukunft. Die beiden Frauen zeigen uns den Weg.

Es regnet. Es scheint acht Freunde auf dem Weg zum Grab nicht zu berühren. Hinter uns eine Schlange unter Regenschirmen. Eine vom Natur-Friedhof zur Verfügung gestellte bunte Vielfalt. Jeroen führt die Truppe, acht Herzen sprechen. Acht Leiber ziehen einen Wagen. Ein Kind, das seine Zunge weit ausstreckt, um den Regen zu kosten.

Im Wald neben dem Grab liegt ein Berg Erde mit acht Schaufeln. Als alle da sind, bitte ich näher zu kommen und lasse die Worte fließen. Als Aurelius fragt, ob er auf meinen Füßen sitzen darf entsteht eine natürliche Pause. Er nistet sich ein und erlebt meine Perspektive. Als größter von allen auf meinen Schultern, als kleinster auf meinen Schuhspitzen. Familie, Freunde, Arbeitskollegen – alle Anwesenden strömen durch meine Augen und mein Herz, in mein Bewusstsein, um als Worte wieder zurück zu fließen. Eins, alle eins stehen wir da und geben Patricks kaputten Körper an die Erde zurück.

Wir lassen zu acht den Sarg in die Erde absinken. Jeder nimmt auf seine eigene Weise Abschied von Patricks Körper. Futter für die Würmer. Jeder nimmt sich seinen Patrick bereichert, bereinigt und durch Patricks Geliebten berührt, wieder zurück nach Hause.

Der Vater und wir Freunde nehmen die acht Spaten in die Hand und tragen den Berg Erde auf den Sarg. Bis alles wieder so ist wie vor dem Tag, an dem wir lernten, dass wir Patrick beerdigen müssen. Aurelius arbeitet fleißig mit und schiebt den Sand, den wir über den Rand werfen zurück in das Grab.

Wir trinken mit dem Vater eines von Patricks Lieblingstränkchen. Patrick bekommt das erste und das letzte Glas. So waren wir es gewohnt.

Ich danke meinem Freund Patrick für die 1000 Erinnerungen. Dass er mich ‚Bitches Brew‘ und viel anderes nah gebracht und damit meine Welt für nicht kommerzielle Musik geöffnet hat.

Spätestens an seinem ersten Sterbetag werde ich mich mit seinen Eltern hinsetzen und diese Tür zu Patricks Welt weit öffnen.

Aurelius weiß jetzt wie wir beerdigen.

Zwei Wochen später half ich Jeroen und Martijn einen Tag lang Patricks Wohnung zu sortieren. Habe jedes Buch in der Hand gehabt, jedes Blatt Papier. Sachen aus dem Keller und vom Dachboden getragen. Alles in Patricks Wohnung hatte seinen genauen Platz. Vier gleich große Schraubhäckchen in einem Kanabis-Tütchen zusammen mit den anderen kleinen Schraubhäckchen in einem Fach vom Kästchen mit Schräubchen und Häckchen im Schrank der kleinen Eisenwaren. Alles beschriftet.

Patrick war Perfektionist und das hat sein Leben nicht einfach gemacht. Er hat stark geraucht und hat Staubwischen an vielen Stellen seines Reiches für unnötig gehalten. Das hat es für mich nicht einfach gemacht, seine Sachen zu sortieren.

Wir haben uns vorgenommen, für seine Tochter Sem und auch für seine Eltern da zu sein. Wo gefragt, werden wir die Rolle Sohn und Vater gemeinsam als acht Onkel übernehmen.

Sein Sterbetag steht die nächsten 2 Jahre als seminarfrei im Terminplaner.

Für Freundschaft und Liebe muss man erst und vor allem DA SEIN, lehrte mich einst ein alter Mönch.

Weiterlesen Teil 1.

 

Ein Gedanke zu „Freundschaft und Sterben Teil 2: Selber beerdigen

  1. Lieber Adriaan,
    vielen Dank für das offene Teilen eurer so bewegenden Momente mit einem Freund. Sie haben mich mit Tränen der Freude und der Trauer berührt und davon träumen lassen, dass jeder so seinen letzten Weg gehen könnte.

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