Achtsamkeit mit Kindern, eine Alltagspraxis

Ich wache auf und finde mich am äußersten Rand von meinem breiten Bett. Mein Sohn Aurelius liegt an mich angedrängt im Tiefschlaf. Ich kann entscheiden zwischen ‘mögen’, mein Sohn, der sich an mich ranschmiegt, oder ‘nicht mögen’, an den Rand des Bettes gedrängt zu sein. Oder ich kann das ‘mag ich’ und ‘mag nicht nicht’ hinter mir lassen und einfach ankommen in einem Körper, der liegt wo und wie er grade liegt. Meinen Sohn spüren, wie er atmet, der Rand spüren und mir bewusst werden, dass ich nicht runtergerollt bin, mich nicht bedrängt gefühlt habe. Verweilen in dem Bewusstsein, dass ich die Möglichkeit habe, ihn sanft zu verschieben falls ich mehr Raum haben möchte.

So wie fast jeden Morgen mit Aurelius, entscheide ich mich für das frühe Aufstehen. Putze meine Zähne und setze mich an die andere Seite, neben das Bett auf mein Meditationskissen. Aurelius wurmt sich hinüber und liegt wieder ganz nah bei Papa und träumt. Ich baue meine Sitzposition auf und verweile bei Atmung spüren. So wie jeden der letzten acht Tagen war ich morgens um vier ganz wach und ausgeschlafen. Sitzen ist zu dieser Uhrzeit leicht und ganz natürlich. Wenn Aurelius hustet, beuge ich ganz natürlich kurz zu ihm rüber, lege ein Hand auf seiner Brust, so wie ich das die letzten Nächte bei jedem Husten gemacht haben. Das formt kein Störung meiner Nachtruhe oder Meditation, sondern ist ein erfüllen meiner Bedürfnisse. Aurelius hat einen ausklingenden Keuchhusten und braucht Unterstützung, um sich nachts nicht mehr zu erbrechen.

Nach dem Sitzen habe ich von fünf bis sieben oder acht Uhr Zeit für mein Korrespondenz und dem schreiben dieses Textes. Von meinem Büro aus höre ich wie Aurelius in die andere Ecke des Zimmers atmet und, falls er sich bewegt, bewegt. Wenn ich merke, dass er anfängt aufzutauchen, werde ich mich schnell ausziehen und mich wieder zu ihm ins Bett legen. So habe ich dann noch ein halbes Stündchen, eine Stunde vielleicht, um zu ruhen. Jede Morgen freut sich Aurelius der Erste zu sein beim Aufwachen. Jede Morgen beobachte ich, wie er aufwacht, wie sein Geist in Bewegung kommt. Wenn ich Möglichkeiten sehe, ihm zum Spüren einzuladen, benutze ich sie. Ohne ihn in irgendeine Form zu belehren, ohne Eile. Wir haben unser ganzes Leben.

Fast jede Morgen ‘springt’ sein Geist eine viertel bis dreiviertel Stunde nach seinem Aufwachen auf ‘Aktiv’. Er will Uno spielen und es folgt eine lange Reihe von ‘Ich will, Ich will.’ Über den ganzen Tag folge ich dem. Lasse mal mehr Raum, hege mal ein wenig ein, zeige ab und zu ‘Stop’. Ich lade ihm immer wieder ein, auch anderes zu entdecken. Im Hintergrund lenke ich sanft in Richtung eines regelmäßigen Tagesablaufs. Ohne Zwang, aber deutlich, fädele ich auch meine Bedürfnisse ein.

An diesen Tagen ist der Spielplatz zentral. Wir haben direkt vor der Wohnung einen grosse Sandkasten mit Klettergerüst, eine Drehscheibe, ein Springbrunnen, viel umzäunten Rasen. Wenn er grösser ist gibt es ein Basketballfeld und ein Fußbalkäfig. Weil er das Jahr, das hinter uns liegt, nur mit mir und Kati spielen wollte und die andere Kinder nur als Hindernisse zu sehen schien, schaffe ich seit einigen Monate Umgebungen wo andere Kinder unsere Nähe suchen.

Im trockenen Sand kann man nichts bauen, aber wenn ich über einigen Quadratmeter den ‘Pudersand’ wegschiebe, entsteht ein anderer Spielraum. Aurelius genießt es zu graben und ein Mauer zu bauen. Völlig organisch wird die Mauer zum Ring, der Ring zur Burg. In der Mitte entsteht ein tiefes Loch bis zum Steinboden vom Sandkasten. Die Mauern werden höher und höher. Andere Kinder fragen, ob sie mitspielen dürfen. Ich lasse Aurelius entscheiden. Nach Tagen Schweigen oder ‘Nein’ liess er letzten Monat ein Kind dran, dann noch ein Kind und bald saßen wir mit einem halben Dutzend um unsere wachsende Burg. Eine nach dem Anderen steigen die Kinder in das Loch und lassen sich eingraben. Zusammen.

Vorgestern lief er nach den Aufstehen zum Fenster, um zu schauen ob Ronnie oder das Mädchen Malak  schon da waren. Wir spielen morgens im Haus oder erledigen Dinge, die gemacht werden müssen. Wenn Kati mit Ihm spielt, habe ich Zeit, um zu Arbeiten oder die Stille zu genießen. Wir kochen zusammen und verbringen Tag umTag den ganzen Nachmittag am Spielplatz.

Aurelius im Sand

Das Spiel im Sand formte auch einen Anlass, der ihn von unseren Berg runter in die Stadt gehen lasen wollte. Werkzeuge beschaffen. In Toys’R’Us nehme ich ihn auf mein Schultern. ‘Nur Schäufelchen kaufen, OK?’ Wir kaufen zwei, weil er kein drei wollte und am nächsten Tag gehen wir wieder den Berg runter, weil es blöd war entscheiden zu müssen, ob Ronny oder Malak das zweite Werkzeug bekommt. So entdecken wir langsam eine Welt, die größer ist als Haus, Hof und Familie. Er kennt die Namen der Kinder: Boshena und Jasmin, Niklas und Emir. Er wagt sich auf die Drehscheibe und genießt es, wenn er weggeschleudert wird und hart landet. Genießt es, wenn er mit der richtigen Haltetechnik gewinnt. Und als all seine Freunden vorgestern vor Ihm nach Hause gegangen waren fand er sofort zwei Mädchen, die er fast verliebt gejagt hat.

Immer wieder erwähnt er, dass er Astronaut werden will. Der Nacht bevor ich diese Text geschrieben habe hat Elon Musk seine Pläne für die Marsbesiedlung präsentiert. Abends nach dem Baden haben wir uns einige Videos angeschaut und darüber gesprochen, was es bedeutet Astronaut zu werden. ‘Papa kriegen wir 200.000$ für die Reise zusammen?’ Ich folge seinen Fragen, gebe Impulse und halte uns das große Bild vor Augen. Nicht zu viel, immer wieder zurückkehren zu der ursprünglichen Frage. So lernt der Geist nicht sprunghaft zu sein, immer wieder zurückzukehren, bei der Sache zu bleiben. ‘Wenn du das möchtest, kriegen wir das Geld zusammen. Du musst aber deine besonderen Fähigkeiten entwickeln, um mitgehen zu können.’ Er sieht, dass beim von  Falcon 9 hunderte Menschen arbeiten, um eine Rakete hoch zu schicken. Da muss man schon was können.

Und immer wieder ziehe ich mich ein wenig zurück und lese weiter in Thich Nhat Hanh’s Buch ‘Ärger, Befreiung aus dem Teufelskreis destruktiver Emotionen’. Auf meinem Schreibtisch liegen 20 andere ins Deutsche übersetzte Bücher von mein Lehrer, die ich gerne für unsere Website besprechen möchte. Das kann warten. Wir haben keine Zeit für Eile.

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